Kinderbetreuung
Nächste Runde im Streit eingelautet
Gericht lehnt Beschwerde ab - Volksbegehren wird gestartet
Von unserer Redakteurin UTE ALBERSMANN
Dessau/MZ. "Das war keine Sternstunde für die Demokratie in Sachsen-Anhalt." Markus Schulze, Mitinitiator der Volksinitiative "Für die Zukunft unserer Kinder", hat lernen müssen, dass Volksinitiativen weit weniger bewegen können als er und seine Mitstreiter angenommen hatten. Das Landesverfassungsgericht hat in Dessau gestern mit seinem Urteil klar gestellt: Volksinitiativen können zwar eine Gesetzesinitiative zum Inhalt haben, diese muss aber vom Parlament nicht wie ein Gesetzentwurf behandelt werden, den Landesregierung oder Landtagsabgeordnete einbringen.
Gesetzesinitiativen "von außen" sind nur per Volksbegehren möglich, für das 250000 Unterschriften vorgelegt werden müssen. Diesen Weg haben Schulze und seine Mitstreiter jetzt eingeschlagen. Ihr Gesetzentwurf liegt vor. Ab 11. September wird gesammelt.
Für die Volksinitiative hatten sie im vergangenen Jahr statt der notwendigen 35000 fast 300000 Unterschriften zusammen bekommen. Doch ihr Ziel, die Änderungen im Kinderbetreuungsgesetz noch vor dem In-Kraft-Treten der Novelle zum 1. August wieder rückgängig zu machen, scheiterte. Der Landtag hörte die Initiative an, behandelte ihr Anliegen aber nicht wie einen Gesetzentwurf und nahm auch die Kürzungen nicht zurück. Zum ersten August sanken die Landeszuschüsse, und Erzieherinnen hatten mehr Kinder zu betreuen als zuvor. Das war, wie Schulze seit gestern weiß, rechtens.
Die Volksinitiative hatte sich vor dem Landesverfassungsgericht mit einer Beschwerde gegen Landtagspräsident Wolfgang Schaefer und den Landtag gegen diese Behandlung gewehrt - erfolglos. Der Landtagspräsident habe Parlamentsentscheidungen vorzubereiten, für das Verfahren des Landtags sei er nicht verantwortlich zu machen, so Gerichtspräsident Jürgen Goydke in seiner Begründung. Die Beschwerde gegen den Landtag sei nicht fristgerecht eingereicht worden, hätte aber ohnehin keinen Erfolg gehabt, sagte Goydke. Dass ein Anliegen im Parlament wie ein Gesetzentwurf behandelt werde, könne nicht erzwungen werden.
Im Frühjahr 1999 hätten sie die Volksinitiative gestartet, sagt Markus Schulze später, "weil wir schnell reagieren wollten, den Prozess im Landtag stoppen und Zeit für Diskussion gewinnen". Ein Jurist, meint der Krankenpfleger, hätte schon damals wohl empfohlen, gleich ein Volksbegehren anzugehen. Doch ihnen seien die Hürden damals noch zu hoch erschienen, das Verfahren sei komplex. "Und wir sind keine Juristen, sondern ganz normale Bürger."
"Nicht zu empfehlen"Rechtsanwalt Pfeifer rät von Volksinitiativen ab
Dessau/MZ. Das Instrument der Volksinitiative sei jetzt "nicht einmal mehr ein stumpfes Schwert". So reagierte Ernst-Ulrich Pfeifer, Anwalt der Volksinitiative "Für die Zukunft unserer Kinder", auf das Dessauer Urteil. MZ-Redakteurin Ute Albersmann sprach mit dem Juristen.
Was heißt die Entscheidung des Verfassungsgerichts für den Wert der Volksinitiative als Machtmittel der Bürger gegenüber dem Land?
Pfeifer: Ich kann keinem mehr empfehlen, diesen Weg zu gehen. Hat eine Volksinitiative einen Gesetzentwurf zum Inhalt, haben all die, die unterschreiben, letztlich nur eine Garantie: einmal mit ihrem Begehren in einer Landtagsdrucksache aufzutauchen. Der Landtag muss damit nicht umgehen, wie mit einem Entwurf von Regierung oder Parlament oder von einem Volksbegehren. Das ist zu wenig, um Bürger in diese Anstrengung hineinzutreiben.
Welcher Weg bietet sich statt dessen an?
Pfeifer: Man kann Petitionen einreichen, eine ganze Flut von Petitionen einreichen, die sich einem Thema von unterschiedlichen Seiten nähern. Allerdings haben die Initiatoren dann kein Rederecht vor dem Landtag. Oder man geht den Weg des Volksbegehrens, wie jetzt die Initiative "Für die Zukunft unserer Kinder". Da sind die Hürden allerdings sehr hoch.
Liegen die Hürden für Bürgerbegehren in Sachsen-Anhalt höher als anderswo?
Pfeifer: Der Gesetzgeber hatte in Sachsen-Anhalt starke plebiszitäre Elemente gewollt, ebenso wie er übrigens eine relative Unabhängigkeit der Kommunen gegenüber dem Land wollte. Das wird aber durch Parlaments- und Regierungshandeln immer weiter zurückgedrängt - und jetzt auch durch den Spruch des Landesverfassungsgerichts.
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