Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt

Streit um Zeit und Geld für Kinder

Entwurf von Eltern, Erziehern und Gewerkschaft im Internet - Vorbereitungen für Volksbegehren laufen an

Von unserer Redakteurin UTE ALBERSMANN

Merseburg/MZ. In allen Kindertagesstätten sollen Listen liegen, und auf Straßen sollen Unterschriften gesammelt werden. Zusätzliche Formulare werden sich bei Bedarf von der Internet-Homepage der Volksinitiative herunterladen lassen, auf der bisher der Gesetzentwurf für ein neues Kinderbetreuungsgesetz und Hintergrund-Materialien zu finden sind. Und kopieren lassen sich die DIN-A4-Blätter selbstredend auch.

Die Volksinitiative "Für die Zukunft unserer Kinder" bereitet das erste Volksbegehren in Sachsen-Anhalt vor. Eltern, Erzieher und Fachleute der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) haben ein Kinderbetreuungsgesetz geschrieben, das das gültige Landesgesetz ablösen soll. Dazu müssen zunächst innerhalb eines halben Jahres 250 000 Unterschriften gesammelt werden.

ELTERNBEITRÄGE

Kosten gestiegen

Seit August 1999 gilt das Kinderbetreuungsgesetz. Seitdem sinken die Zuweisungen des Landes an die Träger jährlich. In der Folge sind vielerorts Elternbeiträge gestiegen - meistens um 20 bis 50 Mark pro Monat, manchmal um mehr.

Zwei Beispiele aus dem Kreis Anhalt-Zerbst: In der Verwaltungsgemeinschaft Zerbster Land wurden nach Unterlagen der Volksinitiative bis Ende 1999 für einen Ganztags-Platz im Kindergarten 175 Mark verlangt, jetzt sind es 235 Mark (plus 34,3 Prozent), in der Verwaltungsgemeinschaft Vorfläming sind es heute 235 statt vorher 150 Mark (plus 56,6 Prozent).

"Für die Zukunft unserer Kinder" heißt das Motto. Unter dem gleichen Leitsatz waren 1999 nahezu 300 000 Unterschriften gesammelt worden, mit denen eine Aussetzung der Änderungen im Kinderbetreuungsgesetz erreicht werden sollte: Mit den Stimmen von SPD und PDS hatte der Landtag beschlossen, dass von August 1999 an Erzieherinnen mehr Kinder betreuen müssen, und dass die Landes-Zuschüsse sinken. Das Gesetz trat trotzdem zum 1. August 1999 in Kraft.

Die Volksinitiative reagierte. Sie schrieb einen Gegen-Gesetzentwurf. Bisher, gibt Mitinitiatorin Ilka Reckmann zu, hatte man Schwierigkeiten, diesen Entwurf publik zu machen - "insbesondere im Raum Halle". Das solle sich ändern. Trotzdem ist noch nicht entschieden, ob Informationsveranstaltungen angeboten werden.

Die Volksinitiative will die 1999er Einschnitte zum Teil rückgängig machen. Sie sieht sich aber dem Vorwurf gegenüber, zentrale Ziele aufgegeben zu haben - so soll es kein Zurück zu kleineren Kindergarten-Gruppen geben.


"Wenn weiter gekürzt wird, müssen die Kommunen die Elternbeiträge erneut erhöhen.

ILKA RECKMANN VOLKSINITIATIVE


Auch die Finanz-Kürzungen für die Jahre 1999 und 2000 werden im Prinzip akzeptiert. Die Zuschüsse sollen auf dem jetzigen Niveau eingefroren werden. Das Land plant dagegen weitere Einsparungen. Noch zwei Mal sollen die Zuweisungen sinken. Folglich tut sich eine Schere auf. 2001 wäre Kinderbetreuung, so wie sie die Volksinitiative will, um 25 Millionen Mark teurer als nach dem gültigen Gesetz. Ilka Reckmann sagt, es handele sich nur um nicht gemachte Einsparungen". Ihr Gesetz sei finanzierbar. Wenn weiter gekürzt wird, steigen die Elternbeiträge." Die Kommunen müssten einen Teil des Defizits weitergeben.

Ende Juli hat die Landesregierung den Antrag, das Volksbegehren "Für die Zukunft unserer Kinder" zu starten, formal angenommen. Seitdem ist aucb der Schlagabtausch eröffnet. Sozialministerin Gerlinde Kuppe (SPD) greift die von der Initiative vorgelegte Novelle an, sie spricht von einem "Kuckucksei", und die SPD-Landtagsfraktion hat kaum ein gutes Haar am Entwurf gelassen.

Hauptstreitpunkt neben den Kosten: Auf wie viel Stunden Betreuung hat ein Kind Anspruch? "Mindestens zehn Stunden je Betreuungstag", steht im gültigen Gesetz. In der Volksbegehren-Novelle ist von einem Ganztagsplatz die Rede, die konkrete Untermauerung fehlt unter dem Punkt Besuch der Kindertagesstätte". An anderer Stelle des Entwurfes aber wird zwischen Halbtagsplätzen (bis 25 Stunden wöchentlich) und Ganztagesplätzen (über 25 Stunden) unterschieden. Folglich hätten, sagen SPD und Sozialministerium, die Kinder bei einer Fünf-Tage-Woche nur noch das Recht auf über fünf, statt auf über zehn Stunden Kindergartenzeit täglich.

Ilka Reckmann winkt ab. Natürlich bleibe es bei einer Ganztags-Betreuung, die den Namen verdiene. Niemand werde das Gesetz auslegen, wie von der SPD befürchtet. Zumal die Kommune die Erzieherinnen ohnehin bezahlen müsse.

Die Erzieherinnen-Stunden berechnen sich in ihrem Entwurf nach einem einfachen Schlüssel, der laut Reckmann komfortabler ist als die geltende Regel: 50 Erzieherinnen-Wochenstunden für ein ganztags betreutes Kind, egal ob es 26 oder 50 Stunden in der Einrichtung verbringt. Die Gesamtstunden könnten dann in der Einrichtung verteilt werden, wie es am besten sei, sagt Reckmann. Es werde dann mehr helfende Hände geben, wenn sie gebraucht werden" - in der Haupt-Betreuungszeit.

"Da geht es nur um Erzieherinnen-Beschäftigung", kontert Holger Paech, Sprecher im Sozialministerium. Ein Anspruch der Kinder auf Ganztagsbetreuung sei etwas ganz anderes und eben nicht im Gesetzentwurf zum Volksbegehren fixiert. Die SPD im Landtag ist sogar so weit gegangen, von einem Gesetz für Erzieherinnen, nicht für Kinder zu sprechen. Zumal die Volksinitiative die sogenannten Betreuungsschlüssel nicht wieder auf den komfortableren Stand von 1998 heben will, als eine Erzieherin neun statt heute zwölf Kindergarten-Kinder zu betreuen hatte. Was also, wird gefragt, verändert sich für die Kinder zum Guten?

Ein Zurück zu den alten Standards sei nicht zu finanzieren, sagt Reckmann. Die Situation bessere sich aber trotzdem. Eben weil den Erzieherinnen mehr Zeit für die Betreuung jedes einzelnen Kindes zugestanden werden solle.

Der Streit um Betreuungsrelationen und Landeszuschüsse hat bei allem auch eine politische Dimension. Es geht auch um das Machtgefüge im Magdeburger Modell. SPD und PDS haben das jetzige Kinderbetreuungsgesetz nach heftigem Streit und gegen vehementesten Protest aus der Bevölkerung durchgeboxt. Das Paket wieder aufzumachen, muss allen Beteiligten mehr als gefährlich erscheinen. Und so stellt Ilka Reckmann dann auch fest, "dass die PDS sehr ruhig ist". Sie glaubt nicht, dass aus Magdeburg Signale kommen werden, die die Initiatoren dazu bringen könnten, das Volksbegehren noch zu stoppen - wie beispielsweise die Ankündigung, die Pauschalen nicht wie geplant zwei weitere Male deutlich zu senken. Bis zum 11. September, dem ersten Tag der Unterschriften-Sammlung, wäre dazu theoretisch Zeit. Reckmann: "Das wäre ein Wunder."

www.volksinitiative-kinder.de.vu

ms.sachsen-anhalt.de/aktuell/aktuellfr.htm

KINDERBETREUUNGS-GESETZE IM VERGLEICH

Entwurf der Volksinitiative ändert nicht nur Kleinigkeiten

Betreuungsanspruch: Im Gesetzentwurf zum Volksbegehren ist ein gesetzlicher Anspruch auf Betreuung in Krippe, Kindergarten und Hort bis zum Ende der Grundschulzeit festgeschrieben. Im geltenden Gesetz haben die Kinder Betreuungs-Anspruch bis zur Versetzung in den siebten Schuljahrgang.

Betreuungszeit: "Der Träger vereinbart in einem schriftlichen Betreuungsvertrag mit den Erziehungsberechtigten, ob ein Halbtags- oder Ganztagsplatz in Anspruch genommen wird", heißt es im Gesetzentwurf der Volksinitiative. Im gültigen Gesetz steht dagegen, "ein ganztägiger Platz umfasst ( ... ) ein regelmäßiges Angebot für das Kind von mindestens zehn Stunden je Betreuungstag."

Staffelung der Elternbeiträge:

Die Volksinitiative will die Möglichkeit, Elternbeiträge nach Einkommen zu staffeln, aufheben. Bei sozial schwachen Familien werde die Gebühr ohnehin vom Jugendamt übernommen. Der Verwaltungsaufwand bei Einkommens-Staffelungen sei zu hoch; und es drohe soziale Auswahl: Wer mehr zahle, könnte "aus betriebswirtschaftlichen Gründen" bei freien Trägern bessere Chancen haben, wenn Plätze knapp seien, mutmaßt Ilka Reckmann von der Volksinitiative. Die Möglichkeit, die Kita-Beiträge nach der Kinderzahl der Familie zu staffeln, soll bleiben.

Stellung der Kindergarten-Leiterinnen:

Die Leiterinnen sollen deutlich mehr Stunden für Leitungs-Tätigkeiten freigestellt werden als nach gültigem Gesetz. In Kindereinrichtungen mit über 70 Plätzen wäre sie ganz frei gestellt.

Landeszuschüsse:

Laut gültigem Gesetz sinken die Zuweisungen bis 2002 jährlich - bei einem Kindergarten-Platz von 330 im Jahr 1999 auf 270 Mark im Jahr 2002, bei einem Krippenplatz von 480 Mark auf 360 Mark. Die Volksinitiative will Zuschüsse von konstant 300 Mark für Kindergarten- und 450 Mark für Krippenkinder.

Download des Artikels als 150 dpi-Scan (136 kByte) aus der Mitteldeutsche Zeitung (Mit freundlicher Genehmigung der MZ)

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