Traditionelle Schule ist reformbedürftig

Kultusminister Gerd Harms favorisiert feste Öffnungszeiten

Halle/MZ. An den Schulen des Landes sind Veränderungen im Gange. Jüngstes Vorhaben ist die Grundschule mit festen Öffnungszeiten, die 2001 eingeführt wird.

Sind die Grundschulen Experimentierfeld für Reformvorhaben?

Harms: Keinesfalls. Die Veränderungen sind nötig. Zum einen, weil manche Grundschüler beim Übergang zur weiterführenden Schule nicht über ausreichende Fähigkeiten verfügen. Zum anderen werden die Lehrer mit unterschiedlichen Schulvoraussetzungen konfrontiert. Da sind jene Kinder, die über Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen verfügen, andere können das nicht.

Wie soll reformiert werden?

Harms: Ein Weg ist die veränderte Schuleingangsphase. In der Regel werden die ersten zwei Klassen normal durchlaufen. Doch es gibt Schüler, die das schneller können und andere, die ein weiteres Jahr brauchen, um den Stand der dritten Klasse zu erreichen. Bei der Grundschule mit festen Öffnungszeiten, geht es um eine Stärkung der Erziehungsleistung nach einem Stundenplan mit täglich festen Anfangs-und Endzeiten. Er bietet mehr Möglichkeiten, das Lernen zu verbessern und den Betreuungsanteil zu erhöhen.

Welche Leitidee hat die Grundschule mit festen Öffnungszeiten?

Harms: Wir wollen die Schule lebensnäher gestalten, starke Schüler mehr fordern und schwächere mehr fördern. Die traditionelle Schulpädagogik geht vom Lernen im 45-Minuten-Rhythmus aus. Das ist nicht mehr effizient genug. Wir möchten, dass die Schulen Zeit bekommen, um an bestimmten Inhalten länger zu arbeiten. Konzentrationsphasen sollen sich mit betreuten Bewegungs- und Entspannungsphasen abwechseln.

Wie könnte so ein Tag aussehen?

Harms: Nach Beratungen mit Praktikern ist ein 330-Minuten-Modell entstanden. Einer Einstimmungsrunde von 15 Minuten folgen 100 Minuten Unterricht mit kurzen Pausen, danach eine Aktivpause für Bewegungsspiele. Es folgen 100 Unterrichtsminuten und die zweite Aktivpause. Nach einer dritten Lernphase von etwa 45 Minuten könnte ein gestalteter Ausklang den Schultag abrunden. Die Schulen entscheiden selbst, ob sie das Modell nutzen oder weiter im 45-Minuten-Takt arbeiten.

Wann können die Schüler ihre Hausaufgaben erledigen?

Harms: Dafür ist jetzt mehr Zeit. Vorgesehen ist, die Stundentafel auszuweiten um einen Teil, der freies Gestalten und übendes Wiederholen heißt. Was darüber hinaus erledigt werden muss, geschieht im Hort oder zu Hause.

Verfügt das Land über ausreichende Fachkräfte für das Projekt?

Harms: Wir beschäftigen derzeit etwa 2 000 Landesbedienstete, die als Erzieherinnen in den Schulhorten arbeiten. Bis spätestens 2003 läuft der Schulhort in der jetzigen Form aus, und 1 220 Hortnerinnen könnten in die Grundschulen mit festen Öffnungszeiten übernommen werden. Jeweils für einen angefangenen Zug, das heißt für vier Klassen, stünde dann eine zusätzliche Erzieherin zur Verfügung.


"Ich würde auch gern wie der Weihnachtsmann Geschenke verteilen."

Und was wird aus dem Hort?

Harms: Horterziehung ist eine kommunale Aufgabe. So besagt es auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz als Bundesgesetz. Es nimmt Städte und Gemeinden in die Pflicht, denn der Rechtsanspruch auf Hortbetreuung bleibt bestehen.

Wird damit nicht den Kommunen und den Eltern der schwarze Peter zugeschoben?

Harms: Nein. Sachsen-Anhalt garantiert jedem Kind bis zum Abschluss der sechsten Klasse einen Hortplatz. Kein anderes Bundesland tut das. Die Kommunen haben seit Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes am 3. Oktober 1990 die Verpflichtung, eine bedarfsgerechte Hortbetreuung vorzuweisen. Dem mussten sie bisher nicht nachkommen, weil das Land freiwillig Schulhorte angeboten hat. Dass die Eltern im Schul- oder kommunalen Hort Gebühren bezahlen, ist üblich. Ich würde auch gern wie der Weihnachtsmann Geschenke verteilen. Doch die Betreuung können wir nicht kostenfrei vorhalten. Die Gebühr muss allerdings sozial verträglich sein.

Und wenn Eltern auf das Betreuungsangebot verzichten möchten?

Harms: Es gibt eine Einheit zwischen Erziehung, Bildung und Betreuung. Das heißt die gesamten 5,5 Stunden gelten als verbindliche Anwesenheitszeit. Derzeit ist es so, dass die Eltern mit unregelmäßigen Stundenplänen klar kommen müssen. Jetzt schaffen wir einen verlässlichen Zeitrahmen.

Warum wird keine Wahl zwischen der neuen und der bisherigen Grundschulform eingeräumt?

Harms: Das ist wenig realistisch. Wie sollen im Dorf Wahlangebote gemacht werden? Flächendeckend müsste ein doppelter Schulbusverkehr organisiert werden. Wir haben jetzt die Chance, eine große Zahl qualifizierter Hortnerinnen einzusetzen, die für die Arbeit mit Kindern in dieser Altersgruppe ausgebildet sind. Und diese Chance will ich nützen. Wenn sich die Eltern den tatsächliche Stundenplan anschauen, dann sehen sie, über vier Jahre gerechnet, dass die Kinder nicht weniger Freizeit haben.

Viele Kinder sind auf den Nahverkehr angewiesen. Besteht nicht die Gefahr, dass einige wieder zu Schlüsselkindem werden, weil Busse nicht schulgemäß fahren?

Harms: Gerade das wird durch die festen Öffnungszeiten verhindert. Die Schulleitungen sind verpflichtet, die Öffnung unter Berücksichtigung des Schülertransports festzulegen. Das Thema Schlüsselkinder kam auf mit der Frage, was passiert nach dem Ende der Schule mit festen Öffnungszeiten. Ich will noch einmal klar sagen, es geht nicht darum, dass Kommunen oder freie Träger einen Hortplatz anbieten können, sie müssen dies tun.

Wann wird die neue Schulform Gesetz?

Harms: Wir wollen den Gesetzentwurf in der nächsten Woche in den Landtag einbringen, so dass ich von einer Verabschiedung im Oktober ausgehe.

Mit Minister Gerd Harms sprach unser Redakteur Ernst Krziwanie

Download des Artikels als 150 dpi-Scan (104 kByte) aus der Mitteldeutsche Zeitung (Mit freundlicher Genehmigung der MZ)

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